Mittwoch, 10. April 2013

A. Interpretation eines epischen Textes

ad 1)  „Die Klavierstunde“; Gabriele Wohmann, Kurzgeschichte, Hamburg 1962;
Inhalt: unmittelbare Vorbereitungen auf die Klavierstunde von Schüler (widerwilliges „Annähern“ an den Ort) und der Lehrerin (unwilliges Erwarten des Schülers) erzählt durch alternierenden Perspektivenwechsel (analog Metronom: wechselseitiger Ausschlag bei gleichzeitiger Beschleunigung/Erhöhung der Taktzahl);
Thema: Unfähigkeit zur Kommunikation, Unterordnung gesellschaftlicher Konventionen; Aufzeigen bürgerlicher Konventionen und des Verhaftetseins deren Träger


ad 2) Charakterisierung des Jungen:
-          Personifikationen (1-3): quasi-physische Bedrohung durch die Umwelt
-          sehr häufig elliptischer Satzbau: innere Unruhe, Panik
-          typisches Kind: spielte lieber auf der Straße, als zum Unterricht zu gehen
-          gutbürgerliches Umfeld

Charakterisierung der Lehrerin:
-          Ausruf/Wiederholung: „Ohwehohwehohweh“: Bedrohung durch den Schüler
-          gutbürgerliches Umfeld
-          beste Jahre hinter sich


Kernmetapher „Metronom“: Personifikation („tickte laut und humorlos“); Ausweglosigkeit der Situation für beide Protagonisten

Parallelismus: „widerlicher Kerl“ – „widerliche Tante“

Abwesenheit von Dialog außer der Begrüßungsfloskel

Parenthese („von wem nur...): Parallelwelten der doch so unterschiedlichen Protagonisten, die in Bezug auf die Klavierstunde einander so ähnlich sind




B. ANALYSE EINES DRAMATISCHEN TEXTES -  Dog eat Dog - Raus aus Baumheide1 (2004)/ Nuran Calis (*1976)

a) Bitte fassen Sie  den Text nach einer knappen Vorstellung zusammen.
b) Bitte charakterisieren Sie die Hauptfiguren und zeigen Sie, wie der Autor dabei Sprache einsetzt.

a) Im 6. Bild des 2. Aktes des 2004 in der Anthologie „Theater Theater“ veröffentlichten Schauspiels „Dog eat Dog - Raus aus Baumheide“ von Nuran Calis treffen der 18jährige Serkan, der als Türsteher in einer Diskothek arbeitet, und die 17jährige Pola nachts an einer Bushaltestelle in Baumheide, einer Plattensiedlung im Nordosten Bielefelds, aufeinander. Serkan will wissen, warum sich Pola, die er bereits beobachtet hat, jede Nacht hier aufhält. Das von Neugier wie auch skeptischer Distanz geprägte Gespräch, in dessen Verlauf beide zu erkennen geben, dass sie bereits voneinander wissen, schlägt bald in offene verbale Aggression um. Beide beschimpfen sich in verletzender Weise, indem sie sich gegenseitig wegen ihrer sozialen Herkunft und ihrer Lebensgewohnheiten beleidigen und demütigen, scheinen sich dieses Verhalten letztlich jedoch nicht übel zu nehmen und verabreden sich für die nächste Nacht.
Im 4. Bild des 3. Aktes verrät Pola Serkan in einem langen Monolog, warum sie jede Nacht an der Bushaltestelle ausharrt. Sie will den Blick der Menschen sehen, die mit dem Bus in den Süden ans Meer fahren und der voller Erwartung ist. Er weckt die Sehnsucht in Pola, aus der Plattensiedlung Baumheide wegzugehen, die sie wie Serkan noch nie verlassen hat, um ihrem tristen Alltag zu entkommen.
Dann gibt sie zu erkennen, dass sie sehr genau über Serkans familiäre Situation Beschied weiß und offenbart ihm, dass sie Schauspielerin werden will. Serkan ist von Polas Ausführungen verhalten fasziniert

b) 2. Akt, 6. Bild:
·        Serkan zeigt Interesse an Pola und gesellt sich eines Nachts an einer Bushaltestelle zu ihr und bringt ihr ein von ihr dort verlorenes Buch.
·        Pola spricht ihn recht offensiv an und übernimmt die Redeführung: „Was machst du hier?“ (Z. 5) - „Woher wusstest du ...?“ (Z. 6)
·        Dialog mit jeweils kurzen Redeanteilen mit der Funktion sich in einem von Pola dominierten Frage- und Antwortspiel bekannt zu machen (kurze wechselseitige Fragen und häufig elliptische, umgangssprachlich geprägte Antwortsätze - „Woher weißt du das?“ Z. 18 - „Stand hier drin.“ Z. 19)
·        erste negative Reaktionen Polas auf Serkans Job als Türsteher in der Diskothek GLASHAUS: Fäkalsprache mit dreimaliger Variation des Wortes „Scheiße“: „Scheiß-Laden. Geh ich nicht hin, ein Haufen verschissener Hosenscheißer ...“ (Z. 22-23)
·        Schlagabtausch in schneller Redefolge in elliptischen, umgangssprachlichen Sätzen: „Bist der Chef, was.“ - „Bin ich nicht ...“ - „Das ist Chef.“ - „Ist es nicht.“ (Z. 25-28)
·        Pola zeigt deutlich und in ironisch abwertender und derber Weise („Bist’n brutaler Schläger.“ Z. 29 - „Wie ehrenvoll.“ Z. 34 - „Verpiss dich, du Pflaume ...“ Z. 38), was sie von Serkans Beschäftigung hält. Sie geht auf Distanz zu ihm und reizt ihn dadurch.
·                    Serkan reagiert zunächst fast sachlich-rechtfertigend („Ich mach es ja nicht zum Spaß. Ich verdiene mein Geld damit.“ Z. 32-33), später dann verbal aggressiv und derb: „Verarsch mich nicht, Mädchen.“ (Z. 35) - „Du fängst dir gleich ein paar.“ (Z. 39)
·        Dieser grob wirkende Dialog scheint jedoch Teil des normalen und auch gewohnten Umgangstons zu sein, da ab Z. 43 Serkan trotz der wiederholt recht deutlichen Abweisung durch Pola (Z. 36, 38, 42, 44, 46) nicht locker lässt und wieder ganz ruhig nach dem Grund ihres Hierseins fragt.
·        Ganz plötzlich kippt jedoch die Stimmung wieder in offene verbale Aggression um:
Serkan beschimpft Pola in einem längeren Monolog (Z. 49-64) in verletzender, herabsetzender Weise, indem er sie mit einer Kaskade derber Vorwürfe in wüster, sexuell aufgeladener Gossen- und Fäkalsprache („Fotze“, Z. 52 - „Arsch“, „Titten“, Z. 57 - „Muschi“, Z. 58 - „Lastwagenficker“, Z. 59 - „schwule Scheiße“, Z. 62 - „Möse“, Z. 64) wegen ihrer sozialen Herkunft und ihrer von der anderer in der Siedlung lebender Mädchen abweichenden Lebensgewohnheiten beleidigt, demütigt und so verächtlich auf sie herabsieht. Er stellt sie als verachtenswürdige Außenseiterin ohne Moral dar, mit der keiner Kontakt haben möchte, weil sie sich (angeblich) prostituiert und sich anders verhält als von den Jungs und Mädchen der Umgebung erwartet.
Hier zeigt sich eine milieubedingte verbale Hasstirade, die den Jargon des Gangsta-Rap imitiert (GLASHAUS - Hip-Hop-Szene); eine Art verbaler Trieb­abfuhr, ein Selbstbestätigungsritual, um Überlegenheit, Coolness und vor allem Distanz zu signalisieren. Gefühle werden so, erhaben über jeden Verdacht von mitfühlender Anteilnahme und von Interesse, kaschiert. Angst vor dem Anderen, Fremden mischt sich mit Interesse und Neugier. Faszination und Abscheu liegen im Widerstreit.
·        Pola steht in ihrer Reaktion Serkan in nichts nach und spricht ihm und dessen Clique in ebenso verletzender, herabsetzender Weise und in derber, sexuell aufgeladener Gossen- und Fäkalsprache die Existenzberechtigung als menschliche Wesen ab („Ihr unbedeutenden dummen Scheißfliegen ..., ihr kleinen Kohlenstoffverbindungen“, Z. 70-71 - „ihr kleinen Scheißköpfe“ (Z. 74) und verflucht sie in einer an die Sprache der Bibel erinnernden Weise und wünscht ihnen den Tod durch die dort erwähnten Himmelsstrafen („... über euch sollte ein großes Feuer kommen oder ein großer Regen ...“, Z. 72-73).
·        An beiden prallen die fast rituell vorgetragenen Anfeindungen scheinbar wirkungslos ab („Pola kichernd“ - Regieanweisung Z. 65), als sei dies der gewohnte Umgangston, die Schutzpanzerung, um sich vor Zuneigung und Interesse zu schützen. Als sei nicht geschehen verabreden sie sich am Ende der Szene.
·        Die Begegnung von Serkan und Pola zeigt die milieubedingte Unfähigkeit offen und respektvoll miteinander umzugehen. Sprache dient gleichermaßen als Waffe wie als Schutzmechanismus. Beide wollen etwas voneinander, sind jedoch nicht in der Lage eine den Gefühlen entsprechende Sprache und Kommunikationsstruktur zu wählen.

3. Akt, 4. Bild:
·        kurzer verbaler Schlagabtausch zwischen Pola und Serkan zur Begrüßung (Z. 81-90), der wieder von Sticheleien geprägt ist
·        großer Monolog Polas, der die Szene bestimmt (Z. 91-125)
·        Pola verrät Serkan, warum sie jede Nacht an der Bushaltestelle ausharrt: Sie will den Blick der Menschen sehen, die mit dem Bus in den Süden ans Meer fahren („...ich will ihren Blick sehen, das Funkeln in ihren Augen, den Blick des Nicht-mehr-abwarten-könnens-um-endlich-dort-anzukommen“, Z. 106-107). Er ist voller Erwartung und weckt die Sehnsucht in Pola, aus der grauen Plattensiedlung Baumheide wegzugehen, die sie wie Serkan noch nie verlassen hat, um ihrem tristen Alltag zu entkommen.
Sie erzählt Serkan von ihren Vorstellungen vom Meer, das sie in bunten Farben schwärmerisch als Ort ihrer Sehnsucht darstellt: „Dort aber kann man, wenn man auf das Meer blickt, man kann dann, an schönen Tagen, kann man dann, oh, dann kann man, man kann dann ...“ (Z. 109-110). Dort spielt die intakte Natur eine wesentliche Rolle. Das Leben bekommt Farbe („... dann sieht man die herrlichsten Blautöne ...“ Z. 114) und Weite („... wenn man auf das Meer blickt ... kann man ... weit sehen“ Z. 109-114). Und Pola ist Teil dieser neuen Welt („... und ich bin umgeben von Dutzenden Möwen ...“ Z.99-100). Pola denkt sich hinaus ins selbstbestimmte freie Leben und weiht Serkan - in scharfem Kontrast zu ihrem Verhalten im 6. Bild des 2. Aktes - in ihre intimsten Gedanken ein, nimmt ihn mit auf ihre Fantasiereise (z. B. mit rhetorischen Fragen: „... hast du schon mal weiter als hundert Meter gesehen?“ Z. 108).
·        Pola bricht die Sprachhülsen eines aggressiven Milieus zugunsten einer schwärmenden, erzählenden Sprache auf, die den anderen nicht attackiert, sondern einbezieht und so nicht feindliche Distanz schafft, sondern Nähe ermöglicht.
·        Pola spricht Serkan direkt an und teilt ihm sachlich und offen mit, was sie über ihn als Menschen hinter seiner Rolle weiß (Z. 119-125). Sie demaskiert ihn ohne ihn zu verletzen und ermöglicht ihm so, ihr zu glauben, zu vertrauen (Z. 133-134), zumindest mit ihr zu träumen (Z. 135).

·        Mit ihrem Berufswunsch Schauspielerin wählt sie sich die Möglichkeit, in beliebige Rollen zu schlüpfen in der Hoffnung die Menschen zu sich selbst zu führen und ihnen Mut zur Veränderung zu geben. So agiert sie auch Serkan gegenüber, dem sie auch Mut machen will („... es ist eigentlich ganz einfach, weißt du das?“ Z. 132) und der letztlich widerstandslos bereit zu sein scheint, ihr zu folgen: „Ich glaube dir alles, Mädchen.“ (Z. 133-134)

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