Hey Baby und ein geiles Board
Ziemlich abgefahrenes Teil, dieses
Brett aus der T8 Gold Edition: Drei-
Fach gehärtetes Glasfieber mit extremer
Schwingungs-Dämpfung, dynamisches
Design und ein Shape, mit dem der
Snowboarder von heute Wipeouts prak-
tisch vergessen kann. Optimales Kur-
nenverhalten auf Hochgeschwindigkeits-
pisten. Rauf auf die Boards, rein in den
Tiefschnee. Nur fliegen ist schöner. Und
der absolute Clou: Die 24-Karat-Gold-
Oberfläche. Kein Wunder, dass die
Freaks auf der Ispo weiche Knie be-
kommen.
Was müssen das für ätzende Zeiten
gewesen sein, als Luis Trenker und ande-
re Alpen-Anbeter noch glaubten, „zwoa
Brettl und a gführiger Schnää“ reichten
für den Pisten-Kick aus. In völliger Ab-
geschiedenheit zogen diese Naturträu-
mer auf unberührten Hängen ihre Bah-
nen zu Tal, legten hin und wieder mit
den verbogenen Zaunlatten einen Tele-
mark-Schwung ein und stoppten an
jeder Kuppe, um die Bergkulisse zu
genießen. Womöglich noch ein Holdrio,
das aus dem Tal als Echo zurückschallt.
Und dann kehrten sie in eine verlassene
Hütte ein, hackten Holz und schlürften
eine heiße Suppe, auf der dicke Fettau-
gen schwammen.
Heute dagegen: echt was los. Nach hartem Kampf im Gewühl mit dem Sechser-Doppel-Sessellift rauf zur Bergstation, das Super-Board mit dem geilen Design angeschnallt und 20
Mal rauf- und runter gebolzt. Kurz vor
Schluss schnell noch in Kai’s Alpen-Bi-
stro, wo DJ Ötzi die Schneebar mit sein-
nem neuesten Kracher beschallt. Ansto-
ßen mit Prosecco und ein paar lässigen
Mädels, die unterm Dauen-Anorak nur
nackte Haut und ein bisschen Bikini
tragen.
Was, schon halb vier? Der Berg ruft,
höchste Zeit, sich bei der letzten Ab-
fahrt den absoluten Hype zu holen. In
der letzten Steilkurve zwei Omis leicht
touchiert, die deshalb eine Rolle vor-
wärts in den Tiefschnee machen. Ehr-
lich, ohne die Mega-Carver mit dem
gepolsterten Hyper-Carbon-Kern wären
wir aufgeschmissen gewesen. Sonst
hätten wir glatt den Autobahn-Stau auf
der Heimfahrt verpasst. Robert Stocker
(Süddeutsche Zeitung, 4.2.2003)
Meine Lieben, ich habe den Post etwas verändert, mir ist für Dienstag eine bessere Alternative eingefallen.
Schönes WE & peace | th
Schüler-Lösungsvorschlag Sprachanalyse
Dem Autor geht es darum, das Verhalten der heutigen Wintersportler zu
kritisieren. Zu diesem Zweck baut er einen Gegensatz zwischen der Einstellung
der Wintersportler von früher und von heute auf. Das heutige Verhalten wertet
er klar ab. Es ist seiner Ansicht nach zu sehr von Hektik, Technik- und
Eventorientierung geprägt. Zudem zieht er die Dummheit der heutigen
Wintersportler ins Lächerliche.
Der Autor sieht die Haltung der Wintersportler von früher in einem positiven
Licht, weil Gemütlichkeit und Naturverbundenheit im Mittelpunkt des
Wintersports standen. Der Autor veranschaulicht dies mit dem Bild, dass der
Skifahrer früher „an jeder Kuppe [stoppte], um die Bergkulisse zu genießen“ (Z.
24-26). Darüber hinaus setzt er verschiedene sprachliche Mittel ein, um seine
Absicht zu veranschaulichen, so z.B. Dialektsprache in den Zeilen 17-18: „Zwoa
Brettl und a gführiger Schnää“. Mit diesem Anfang eines alten volkstümlichen
Liedes wird dem Leser das Schunkeln und die Gemütlichkeit in der einfachen
Hütte, aber auch die mit der Verbundenheit mit der Natur verknüpfte
Besinnlichkeit bildlich dargestellt: der Einzelne ist alleine mit seinen „zwei
Bretteln“ auf dem „gführigen Schnää“. Um seine Absicht zu verdeutlichen,
benutzt der Autor zudem die Metapher „Alpen-Anbeter“ (Z. 17). „Anbeter“ sind
normalerweise Menschen, die eine Gottheit verehren, die über ihnen steht.
Dieses Bild möchte der Autor auch auf die Wintersportler früher übertragen.
„Alpen-Anbeter“ bewundern statt der Gottheit die Berge, vor denen sie Ehrfurcht
und Respekt haben und sie auch so „behandeln“. Sie sind überwältigt von den
Schönheiten der Natur. Die gleichen Assoziationen ruft die Anspielung auf den
alten Bergfilm „Der Berg ruft“ (Z. 44) mit Luis Trenker hervor. Auch die
Akkumulation in den Zeilen 21-25 veranschaulicht die „Abgeschiedenheit“ (Z.
19/20) und Naturverbundenheit der Wintersportler von früher. Die Metapher
„verbogene Zaunlatten“ (Z. 23) macht deutlich, dass die Skier damals relativ
einfach aus Holz hergestellt wurden und nicht viel gekostet haben. Dennoch war
mit ihnen ein unvergleichliches Naturerlebnis verbunden.
Im Gegensatz dazu erscheint das Verhalten der vielen Wintersportler von heute
in einem negativen Licht. Für den Autor ist es gekennzeichnet von Hektik,
Technik- und Eventorientierung. Seiner Ansicht nach steht der „Pistenkick“ (Z.
19) im Vordergrund. Durch die Akkumulation in den Zeilen 32-36 unterstreicht er
die Hektik im Wintersport von heute. Er stellt dar, wie anstrengend ein
Wintersport-Massenbetrieb mit „Sechser-Doppel-Sessellift[en]“ (Z. 33) ist:
Adjektive veranschaulichen, dass man nach möglichst vielen Abfahrten „schnell
noch“ (Z. 37) etwas essen muss, bevor es dann „höchste Zeit“ (Z. 45) ist für
die letzte Abfahrt. Auch der Parallelismus in den Zeilen 9 und 10 „Rauf …, rein
…“ verstärkt diesen Eindruck von Hektik.
Die Technikorientierung wird veranschaulicht durch die Akkumulation in den
Zeilen 2 – 5, in denen die verschiedenen technischen Details heutiger
Wintersportgeräte in einer Fachsprache detailliert beschrieben werden, wie
beispielsweise „dreifach gehärtetes Glasfiber“ (Z. 3) oder „optimales
Kurvenverhalten“ (Z. 6). Die Fachwörter, z.B. der „gepolsterte[..]
Hyper-Carbon-Kern“ (Z. 51), wirken übertrieben. Der Autor will damit die
Fixierung auf neueste Ausstattungsmerkmale herausstellen. Weitere Hyperbeln
unterstreichen diese Wirkung, z.B. in den Zeilen 33 und 34 das „Super-Board mit
dem geilen Design“. Wenn man „in“ sein will, braucht man die neueste
Ausrüstung. Dabei geht es neben den allerneuesten technischen Einzelheiten um
das Äußere, wie der Autor mit der „24-Karat-Gold-Oberfläche“ (Z. 11)
demonstriert.
Durch die Verwendung der Ellipse „Heute dagegen: Echt was los“ (Z. 31/32)
stellt der Autor die Eventorientierung heraus. Neben dem Wintersport will der
heutige Snowboarder beispielsweise „anstoßen mit Prosecco und ein paar lässigen
Mädels“ (Z. 39-41). Die gleiche Absicht hat der Verfasser, wenn er auf den Hit
„Hey baby“ in der Überschrift von DJ-Ötzi anspielt, der oftmals neben anderen
„neuesten Kracher[n]“ (Z. 39) vor den „Alpen-Bistros“ (Z. 37) in den
überfüllten Wintersportgebieten gespielt wird und damit das ganze Liftgebiet
„beschallt“ (Z. 39). Durch die Verwendung der Modesprache in den Zeilen 37 und
38 „Kai’s Alpen-Bistro“ und „DJ-Ötzi“ wird verdeutlicht, dass es selbst beim
Skifahren wichtig ist, den neuesten Hit zu hören und in einem modernen „Bistro“
anstatt einer einfachen Hütte zu „speisen“. Die Verwendung des Namens „Kai“,
einem norddeutschen Namen, symbolisiert dabei die Abwendung von
umweltverträglichem, bodenständigem Wintersport hin zu einem
umweltschädigenden, kommerzialisierten und eventorientierten Massenbetrieb, der
an sich nicht in die Bergregionen der Alpen passt.
Der Autor belässt es nicht dabei, einen Gegensatz zwischen dem Wintersport von
früher und heute aufzubauen. Er wertet nicht nur das heutige Verhalten ab. Er
macht sich zudem über die jugendlichen Wintersportler lustig und stellt sie als
dumm dar. Dies zeigt sich besonders an der häufigen Verwendung von
Jugendsprache wie z.B. „ziemlich abgefahrenes Teil“ (Z. 1), „Rauf … Rein“ (Z.
9), „Freaks“ (Z. 13) „ätzende Zeiten (Z. 15), „echt was los“ (Z. 31/32) „Rauf-
und runtergebolzt“ (Z. 36), „absoluter Hype“ (Z. 46) und „aufgeschmissen (Z.
52). Der Autor will damit hervorheben, dass sich die jugendlichen
Wintersportler eine eigene Sprache geschaffen haben, um sich von älteren
Skifahrern abzugrenzen. Dabei können sie sich nicht einmal mehr grammatikalisch
und sprachlich richtig ausdrücken. Die Verkürzung der Sprache sollen auch die
Ellipsen „Nur fliegen ist schöner“ (Z. 10), „und der absolute Clou: Die
24-Karat-Gold-Oberfläche“ (Z. 11) und in Zeile 31 zeigen. Als durchgängiges,
sich durch die gesamte Glosse ziehendes Stilmittel verwendet der Autor Ironie.
So macht er sich in den Zeilen 52-55: „sonst hätten wir glatt den Autobahn-Stau
auf der Heimfahrt verpasst“ lustig über die mit dem massenhaften Ski- und
Snowboardfahren verbundene sinnlose Hektik und Umweltverschmutzung.